Sonntag, 20. März 2011

Unter Körpern

Mein Bruder ist genervt. Wir sitzen in der Furt und arbeiten an unseren Biergläsern.
"Du bist ein Frauenversteher, Mann", wirft er mir anklagend hin. Ich grinse gen Boden, entschließe mich dann aber, noch einen draufzulegen. Das anschließende Lachen gelingt mir gut, tief und langsam, mit einem Hauch von Raubtier. Neben uns dreht eine Brünette im Kurzen instinktiv ihren Kopf zu uns und ich funkele sie an, während mein Grinsen erlischt. Ihre Aufmerksamkeit kehrt zu ihrem vorherigen Ziel zurück. Ich wende mich meinem Bruder zu und grinse wieder.
Frauenversteher also. Und das von meinem Bruder, der mich bereits psychopathisch, pervers, unsozial und schlichthin verrückt nannte.

"Ist das so?", frage ich abgemessen, während ich mein Glas auf dem Tisch hin und her drehe. Es folgt eine neuerliche Auflage seiner gesammelten Betrachtungen, wie mit dem Weibe umzugehen sei, wie ich es in Gedanken nenne. Ich habe den Fehler gemacht, meinem Bruder zu sagen, dass mich beiläufiger Sex mit Unbekannten nicht interessiert. Er versteht nun einmal nicht, dass es mich etwa ebenso sehr reizt und ebenso viel Sinn ergibt, eine mir unbekannte Frau zu begatten, wie eine Badewanne voller Hackfleisch. Ich wiederhole es noch einmal, um meinen Punkt zu unterstreichen.

Die Brünette im Kurzen dreht sich wieder herum. Wahrscheinlich versteht sie deutsch. Ihr Kleid ist knapp geschnitten, das ist hiererorten Norm, und ich starre ihr mit unbewegtem Ausdruck erst ins Gesicht und dann auf ihre aus dem Kleidchen quellenden Titten, bevor ich mich erneut meinem Bruder zuwende.
Frauenversteher also. Während mein Bruder weiter referiert, dass das Weib herablassend zu behandeln und zu bevormunden sei, denn nicht anders würde es dies wünschen, schweift mein Blick unbeteiligt über die im Etablissement präsentierten Körperpartien.
Schließlich entscheide ich, dem Referat meines Geschwisters ein Ende zu bereiten.

Ohnehin unglaublich, dass er dem gleichen Denkfehler aufsitzt, wie meine Verfolgerin. Schlichte Wohnzimmerpsychologie, behavioristische Allgemeinposten und ein paar empirische Werte werden einem sofort als Einfühlungsvermögen und Verständnis ausgelegt. Was er ebenso wenig versteht, ist, dass ich keinerlei Bedürfnis habe, Zeit - ganz gleich, wie wenig und auf welche Weise - auf Frauen zu verwenden, die mich nicht im Geringsten interessieren. Ich finde auch keinen Weg, es noch begreiflicher zu formulieren. Ich schätze, mein Bedürfnis nach Zwischenmenschlichkeit ist in der Tat weit unter Durchschnitt. Auf die oftmals kommende Frage nach dem Warum habe ich erstens keine Antwort und zweitens fände ich sie auch unerheblich.
Der Verfolgerin habe ich, als sie anfing zu spekulieren, eigentlich die beste Entgegnung präsentiert.
"Don't go visiting my intentions. Don't ever."

Den Rest des Abends in der Furt verbringe ich mit Detailstudium. Auch wenn mich das große Ganze nicht interessiert, können gutgeformte und exponierte Titten und Ärsche durchaus meinen Beifall finden.

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Ian Mcewan
Atonement

Sounds


Black Autumn
Rivers of Dead Leaves


Ohne wieder einmal verlegt zu werden, und soweit ohne größere Eruptionen, existiert der Äußere Himmel an diesem Ort für den bisher längsten zusammenhängenden Zeitraum. Dies ist seine Geschichte.

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