Sonntag, 10. August 2008

10. August, Dienstag

Heute war der zweite Tag auf dem neuen Weingut „Craiglochart“, nachdem wir vorgestern, am Sonntag, die Arbeiten auf dem alten, „St. Clair“, beendet haben. Das Wetter war heute wie gestern strahlende Sonne und der neue Platz ist sogar noch idyllischer als der alte. Zwar befinden wir uns immer noch im Awatere Valley, durchqueren Seddon aber nicht mehr, sondern biegen etwa 2-3 Kilometer vorher aus Blenheim kommend links ab und fahren in Richtung des Redwood Pass. Ein herrlicher Flecken Land. Die Schafe springen zwischen den Reihen der Rebstöcke und der scharfe Wind, beinahe Sturm, der heute ging, pfiff und heulte in den Drähten.
Das Leben geht einen seltsamen Gang. Seit Ende Juni arbeite ich nun schon auf Weingütern und bis Ende September wird dies so auch weitergehen. Jeden Tag ist es der selbe stumpfe Ablauf, aber dennoch genieße ich die Zeit draußen; der neuseeländische Winter stört mich dabei nicht, er ist etwa wie der heimische Herbst in all seinen Facetten.
Die Zeit verfliegt mit fast unglaublicher Geschwindigkeit; heute schreibe ich den 10. August und in sechs Tagen ist der zweite Monat hier vorüber. Und ich denke schon jetzt oft an die Rückkehr und die Leere, die sich danach ausbreiten wird: Das Erstarren und dann Stillstehen in der deutschen Enge und Dumpfe, die Wiederkehr des Gewöhnlichen. Denn trotzdem ich jeden Tag dieselbe Arbeit tue, bin ich doch betäubt vom Immer-noch-Fremden dieser Situation und dieser Rausch ist angenehm. Zuhause wird dieses gewaltige Jahr – nicht wegen der Jahresfrist, sondern des Erblickten, des Gehörten und Gerochenen und Gefühlten, dieser Eindrücke wegen, in denen sich das Gewaltige dieses Landes der Erinnerung aufprägt – zusammenschnurren auf die Größe von anekdotischen Nichtigkeiten und das Vorführen von Fotografien. Niemand wird fähig sein zu erfassen, welche Größe und welche Wucht da in so kläglichen Worten und läppischen Bildchen vergewaltigt werden. So ist es immer; man war oft genug selbst zwar halbwegs interessiertes, aber verständnisloses Publikum, um das zu wissen. Die Erinnerung kann weder mitgeteilt noch überhaupt geteilt werden; selbst mit denen, die hier gewesen sind, kann man nur Worte wechseln und ihnen hinterherlauschen; wenn die Worte verklingen, ist da nur noch eine stille Leere und jeder weiß, dass er mit seinen Erlebnissen allein bleiben wird.
Man wird wie selbstverständlich wieder eingebunden in das Miteinander: räumt das Zimmer auf, bringt den Abfall hinaus, harkt das Laub vom Rasen. Und für alle ist dies normal, denn für sie ist man zurückgekehrt derselbe Mensch wie zuvor, nur mit einem vielleicht größeren Mitteilungsbedürfnis.
Nun ja, vielleicht ist dies wirklich so und ich sollte mich nicht in solchen Sentimentalitäten suhlen. Jeder Heimgekehrte wird dergleichen durchzustehen haben. Und doch kommt man nicht umhin und der Geist will sich nicht dreinfügen. – Mir ist nach Rauchen zumute, ich werde eine Zigarette drehen und verpaffen. Erschöpfung macht sich breit, meine Rechte schmerzt – höllisch besonders am Morgen – und ich werde wahrscheinlich das ganze Wochenende frei machen. Das Büro hat Ritchie und mir eine Pause verordnet, da wir seit Wochen nur immer dann freigenommen haben, wenn es regnete und einmal, als sein Handgelenk so stark schmerzte, dass er beim besten Willen nicht arbeiten konnte. Weiter, meinten sie, würden wir zu müde. Das entspricht nun der Wahrheit. Ich bin ziemlich unausgeschlafen und niemandem ergeht es da anders. Vorher wollte mein Herr Supervisor nie am WE arbeiten, weil er stets allein gewesen wäre. Da ich ohne Grund keinen freien Tag nehmen möchte, hat er Gesellschaft gehabt und war recht glücklich drüber. Ich hoffe, meine Hand erholt sich schnell wieder. Wenn sich das ins Büro durchspricht, werde ich zum Arzt gehen müssen.

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Ian Mcewan
Atonement

Sounds


Black Autumn
Rivers of Dead Leaves


Ohne wieder einmal verlegt zu werden, und soweit ohne größere Eruptionen, existiert der Äußere Himmel an diesem Ort für den bisher längsten zusammenhängenden Zeitraum. Dies ist seine Geschichte.

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