Montag, 5. Februar 2007

Exorzismus

Nun also doch. Das Unterbewusstsein gibt keine Ruhe. Daher erscheint dieser Eintrag auch hier.
Am Wochenende sehe ich mir drei Filme im Kino an. Einer von ihnen ist „The Last King of Scotland“, in denen Gillian Anderson für mich unerwartet kurz auftaucht. Sie trägt, anders als man sie kennt, langes blondes Haar und ihre haut ist dunkel von der Sonne. Ihr Gesicht wirkt härter und dünner als früher. Wie sie aussieht, wie sie sich bewegt, wie sie lächelt oder die Stirn runzelt, rührt etwas in mir auf.

Ich treibe durch die Eingeweide Dublins. Der Unruhe, die ich in mir habe, kann ich anders nicht begegnen. Ich muss in Bewegung bleiben. Die meiste Zeit bin ich alarmiert. Ich will nicht unvorbereitet erwischt werden. Der Zusammenhang, das Bindeglied ist mehr als schwach, aber es existiert eben und sorgt dafür, dass ich auf der Hut bin, in Dublin. Im Jahr vor dem vergangenen ging der holländische Ex-Junkie hierher. Es ist nicht so sehr sein Gesicht, das mich beschäftigt, wahrscheinlich liefe ich an ihm vorbei. Wie gesagt, die Verbindung ist schwach. Aber im besagten Jahr, bevor sie in die Psychiatrie musste, kam sie mit ihm hierher. Sie ging wieder, er blieb. Ob sie noch Kontakt haben, entzieht sich völlig meiner Kenntnis. Aber die vage Möglichkeit des Holländers in dieser Stadt, ist ein Stachel in meinem Fleisch.

Im heute gesehenen Film erscheint Gillian Anderson namenlos. Sie, und auch die Figur, die sie spielt, erinnern mich an die Namenlose. Ich habe ihr den Namen genommen und ihr damit einen neuen gegeben. Wollte ich nicht ganz aufhören, sie zu erwähnen? Ich muss einsehen, dass dieses Konzept eine Schwäche hat. Das Problem bleibt präsent und egal wie sehr ich es zu ignorieren suche, endet es nicht. Wenn die Vermeidungsstrategie also nichts fruchtet, muss ich mich dem Problem wieder einmal stellen. Der Schlamm ist ohnehin aufgewühlt. Ihr Gesicht, die Erinnerung an sie und die unklaren Geschichten, die mein Unterbewusstsein daraus webt, verpesten nachts meine Träume.

Wo beginne ich, mich dem Problem zu stellen? Was weiß ich überhaupt noch über sie? Ich versuche, mich an ihren alten Skype-Namen zu erinnern. Als ich ihn finde und eingebe, ergibt sich kein Resultat. Sie hat ihn gelöscht. Ich bin nicht wirklich überrascht. Damit war zu rechnen.
Als sie nach Süddeutschland ging, hat sie auf diversen Partnersuchseiten Profile erstellt und sich dort ihre Begatter geangelt. Davon war ich einigermaßen angewidert, eigentlich war das der Hauptgrund, den Kontakt abzubrechen. Für Fickschlampen ist in meinem Freundeskreis kein Platz; egal wer sie sind, oder welchen Geschlechts.
Ich zermartere mein Hirn, damit mir ihr Username wieder einfällt. Als ich ihn erinnere, zeigt der Begriff kein Ergebnis. Sie hat ihr Profil gelöscht, oder gewechselt.

Was sagt mir das? Ich vermute, sie stellt damit Gerechtigkeit her. Ich will nicht, dass sie mich findet oder je wieder kontaktiert, dementsprechend soll auch nicht sie finden können. Sie zwingt mich, zu meiner Entscheidung zu stehen. Möglich, dass es eine Art Strafe sein soll. Aber wahrscheinlich hat es nichts mehr mit mir zu tun. Vielleicht hat sie sich in einen der Kerle, mit denen sie es trieb, verliebt und ist nun glücklich mit ihm zusammen. Kein Bedarf mehr für Partnersuche. Das klingt logisch. Ich kann nur vermuten, aber diese Annahme ist die plausibelste. Es ist erstaunlich, wie meine Kenntnis von ihr verschwunden ist. Sie könnte verheiratet, schwanger oder tot sein, for all I know. Sie ist zu einem fremden Menschen geworden, dessen Leben mit dem meinen nicht verknüpft ist.
Nicht, dass es für mich irgendetwas ändert. Ich hatte und habe nicht vor, wieder mit ihr in Kontakt zu treten. Abgesehen davon, dass sie wohl schon aus Vergeltung jede Anfrage abschmettern würde, würde ich nicht mehr fähig sein, in den Spiegel zu blicken. Ich würde mich vollkommen lächerlich machen, ich würde darüber vermutlich auseinanderbrechen. Selbst, wenn ich es wollte, ich wäre nicht fähig, solch einen Schritt zu machen.

Aber eines sehe ich. All das ist, worum es in dem Konzept verbrannter Erde geht. Auf solche Weise nur Trümmer zu hinterlassen, das man nie mehr zurückgehen kann, selbst, wenn man es wollte, und ganz gleich, wie sehr. Das ist mir gelungen. Ich habe eine Entscheidung gefällt, die sich über alle späteren Überlegungen und Ansichten hinwegsetzt. Warum die Erinnerungen und die Träume mich trotzdem noch immer heimsuchen, ist mir ein Rätsel. Eigentlich dürfte das nicht passieren. Mir ist ebenso rätselhaft, warum das Vergangene mir mal weniger ausmacht, und mal mehr. Vielleicht ist es ganz einfach die Leere, die zurückgeblieben ist; ein Krater durch den der Wind heult, mal stärker, mal weniger stark. Ich verlange ja nicht, dass diese Grube wieder gefüllt wird. Wer immer das täte, würde irgendwann nur eine neue zurücklassen. Aber es wäre schön, wenn sie an der Oberfläche zuwüchse. Nun ja, vielleicht nächstes Jahr.

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Ian Mcewan
Atonement

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Black Autumn
Rivers of Dead Leaves


Ohne wieder einmal verlegt zu werden, und soweit ohne größere Eruptionen, existiert der Äußere Himmel an diesem Ort für den bisher längsten zusammenhängenden Zeitraum. Dies ist seine Geschichte.

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